Schreib verständlich – kleine Stilfibel für Online Marketer

29. Juli 2016

Stilregel 3: Konkret geht vor abstrakt.

Was ist der Unterschied zwischen einem Apfel und einer Birne? Der Apfel ist rund, hat eine rote Schale und schmeckt leicht sauer. Die Birne dagegen ist unten dicker als oben, besitzt eine grüne Schale und schmeckt süß. Beide knacken leicht, wenn man hineinbeißt.

Und was ist der Unterschied zwischen Apfel, Birne und – Obst?

Obst kann alles und nichts sein. Der Begriff bleibt blass. Bei „Apfel“ und „Birne“ dagegen entsteht ein farbiges Bild im Kopf, man hat den saftigen Geschmack förmlich auf der Zunge.

Diese Erkenntnis kommt aus der Neurolinguistik, sie wird aber auch von der Verständlichkeitsforschung geteilt. Bei der Verarbeitung konkreter Begriffe wie „Rose“, „Spatz“ oder „Schokolade“ arbeiten sehr viele unterschiedliche Hirnregionen zusammen. Die Leseeindrücke aktivieren gleichzeitig Regionen, die für das Riechen oder Schmecken verantwortlich sind. Abstrakte Begriffe dagegen lassen unser Gehirn im wahrsten Wortsinn kalt.

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Quelle: http://www.uni-bielefeld.de/lili/forschung/ag_fachber/neuroling/_neurolinguistik.html

Das heißt für das Schreiben: Wenn ich möchte, dass der Leser mich versteht, muss ich möglichst konkret schreiben: Nicht im Allgemeinen bleiben, sondern Details beschreiben, das Besondere hervorheben. Daher sollten Sie nicht nur vom „Essen“ schreiben, sondern auch vom „Kauen“ und „Beißen“, vom „Mampfen“ und „Schmatzen“, vom „Knabbern“, „Schlürfen“, „Malmen“ und „Schlucken“. Solche Wörter für Tätigkeiten regen das Gehirn an, erzeugen Bilder im Kopf des Lesers, stimulieren uns.

Aktiv statt passiv
Wer so schreibt, schreibt automatisch eher im Aktiv. Passivkonstruktionen erzeugen eine große Distanz. Das wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass der Akteur – derjenige, der etwas tut – beim Passiv nicht einmal vorkommen muss. „Die Katze wird liebevoll gestreichelt.“ Ja, von wem denn nur? Im Aktivsatz dagegen ist klar, wer handelt. „Der Ex-Freund streichelt liebevoll die Katze.“ Das ganze Drama in einem Satz.

Aber selbst Aktivsätze können statisch, unbeweglich sein. Nämlich dann, wenn man so unkonkrete Verben wie „durchführen“, „tun“ oder „machen“ verwendet. Besser, man verwendet Verben, die eine konkrete Handlung ausdrücken, beispielsweise „laufen“, „hüpfen“, „schieben“ und so weiter.

Zum Glück sind die farbigsten, aktivsten Verben auch relativ kurz und entsprechen somit zugleich Regel 1.

Keine Chance für den Nominalstil
Das Gleiche gilt auch für Hauptwörter, auch bekannt als Substantive oder Nomen. Das Motto lautet: Nominalstil vermeiden. Bei solchen Satzkonstruktionen zwingt man zum Beispiel Verben in das Korsett von Substantiven. Oder man setzt eine Reihe von Substantiven zu einem Kompositum zusammen, einem potenziell unendlich langen Hauptwort mit immer neuen Gliedern. Für diese Eigenheit ist das Deutsche eher berüchtigt, denn berühmt, allseits bekannt ist das vielbemühte Beispiel vom „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän“. Oder doch von der „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze“?

Beides, Nominalisierungswahn und Kompositionswut, gehen auch gerne Hand in Hand: „Die Aufhebung des Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes […]“ Dem Magazin Der Spiegel war das sogar eine Schlagzeile wert.
Natürlich ist der Nominalstil nicht per se falsch. Grundsätzlich sind solche Konstruktionen mitunter durchaus sinnvoll für Fälle, in denen eine große Menge an Informationen auf wenig Platz verdichtet werden muss.

Doch wenn Substantivierungen und schier endlose Hauptwortketten überhandnehmen, leidet die Verständlichkeit. Denn die Bezüge zwischen den Wörtern werden so komplex, dass der Leser den Überblick verliert oder Verbindungen nicht wahrnehmen kann. Was sollte das Gesetz noch gleich regeln? Es sollte regeln, wie die beiden Aufgaben, nämlich die Etikettierung von Rindfleisch sowie die Kennzeichnung von Rindern zu überwachen, übertragen werden.

Langweilige und schockierende Wie-Vergleiche
Manchmal kommt man freilich nicht umhin, auch abstrakte Begriffe in seinem Text zu verwenden. Doch auch hier gibt es Möglichkeiten, dem Leser auf die Sprünge zu helfen. Abstrakte Dinge werden verständlicher, wenn sie in einem sprachlichen Bild verpackt werden. Der Vergleich ist wie eine Rakete. Zündet er, gibt es ein großes Ahhh und Ohooo bei den Zuschauern bzw. Lesern. Wenn nicht, gibt’s zumindest ein paar schadenfrohe Lacher.

Der Wie-Vergleich ist der „schärfste Spezialeffekt beim Schreiben“. Behauptet der Journalist Constantin Seibt. Und er hat Recht. Denn mehr Pow, Bam und Zonk kann es beim Schreiben kaum geben. Der normale Vergleich verbindet etwas Unbekanntes mit etwas Bekanntem. In einem Bericht von Der Spiegel über moderne Meeresforschung heißt es: Die entdeckten Tiefsee-Wellen „sind so hoch wie Wolkenkratzer.“ Wären sie etwas kleiner gewesen, hätte man auch ganz gut zwei- oder dreistöckige Häuser zum Vergleich heranziehen – oder besser: erbauen – können.

Doch das ist nur die mäßig interessante Form des Wie-Vergleichs. Noch viel besser ist ein Vergleich, der den Leser überrascht; ihm ein einzigartiges Bild in den Kopf setzt; und der dadurch eine charakteristische Eigenschaft hervorhebt.

Eines der besten Beispiele für einen schockierenden und zugleich sehr bezeichnenden Wie-Vergleich findet Seibt bei Raymond Chandler. Der Autor beschreibt einen zwei Meter großen, schwarzen Auftragskiller, der einen weißen Anzug trägt, und endet mit einem wenig literarischen Vergleich:

„Er war so unauffällig wie ein Skorpion auf einer Sachertorte.“

Hier zeigt sich die Kunst der Sprache, die „Magie beim Schreiben“, wie Seibt sagt. Kein anderes Medium kann so rasch Informationen zwischen zwei Personen übermitteln wie die Sprache. Denn im Film und in der Fotografie wirken solche Sprünge immer etwas gekünstelt.

Auch ein Redakteur, der in einer „trockeneren Ecke“ des Online Marketings tätig ist, kann ruhig zaubern. Natürlich bitte nicht so oft (und nicht so krass), dass es unseriös würde. Aber ein-, zweimal pro Text ist ein bisschen Feuerwerk ruhig erlaubt.

Zwei Tools zur Selbstkontrolle

Ja, der Text soll lesefreundlich sein, der Leser soll ihn leicht verstehen können, geschenkt. Aber: Wie überprüfe ich denn, ob mein Text dieses Ziel auch erreicht? Zwei kostenlose Tools reichen für den schnellen Selbst-Check:

• Textinspektor
• Wortliga

Eines sollte man zuvor wissen: Eine inhaltliche Kontrolle findet nicht statt. Im Prinzip kann man beide Tools mit völlig nichtssagenden Texten füttern und trotzdem ein gutes Ergebnis erzielen. Dennoch haben sie ihre Berechtigung.

Textinspektor
Der Textinspektor ist ein kostenloses Tool des SGV-Verlags. Dahinter steht Schreib-Coach Stefan Gottschling, der auch mehrere Bücher zum Thema geschrieben hat. Das Tool nutzt den Flesch-Reading-Ease, allerdings in der Variante von Mihm. Hier wird das Ergebnis als TA-Index angegeben, einer Skala von 0 bis 20. 0 steht für sehr schwer verständliche, 20 für sehr leicht verständliche Texte.

Der Text, der geprüft werden soll, wird einfach in das weiße Feld hineinkopiert. Unten sind mehrere Optionen auszuwählen, um den Text näher zu bestimmen: Um welche Textsorte handelt es sich? Welche Zielgruppe möchte man ansprechen? Wie alt sind deren Angehörige? All das fließt in die Berechnung des TA-Index‘ mit ein.

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Zum Schluss gibt es zusätzlich noch eine Auswertung. Der Farbbalken visualisiert den TA-Index zwischen Grün (alles okay) und Rot (gar nicht okay). Hilfreich sind die angezeigten Werte für die durchschnittliche Zahl an Wörtern pro Satz sowie die durchschnittliche Silbenzahl pro Wort. Nicht immer liegt das System beim Durchzählen ganz richtig.

Aber trotz einiger Einschränkungen erhält man eine gute Abschätzung, ob die Sätze im Mittel eine gute Länge haben und ob man zu häufig lange Wörter benutzt. Das Tool kann dem Redakteur die eigentliche Optimierung nicht abnehmen, es zeigt aber die Richtung auf, in die er gehen muss.

Wortliga

Deutlich umfangreicher ist das Textanalyse-Tool von Wortliga. Es basiert auf dem Hamburger Verständlichkeitskonzept. Doch wie beim Textinspektor wird auch hier keine inhaltliche Prüfung vorgenommen. Daher können von den vier Dimensionen eigentlich nur Einfachheit sowie Prägnanz überprüft werden. Gliederung und anregende Zusätze werden nicht berücksichtigt.

Das Online-Tool ist einfach zu bedienen. Hier muss man ebenfalls den Text einfach in ein leeres Feld hineinkopieren. Dann reicht ein Klick, bevor die Analyse-Ergebnisse angezeigt werden. Ganz oben findet sich der Indexwert zur Lesbarkeit, der ebenfalls auf dem Flesch-Reading-Ease basiert. Da die Macher vor allem die Verständlichkeit von Internettexten im Blick haben, empfehlen sie einen Lesbarkeits-Score zwischen 70 und 30. Alles darüber wäre zu banal, alles darunter zu vertrackt.

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Die Einschätzung erfolgt nach dem Ampel-System. Grün heißt: alles in Ordnung. Bei Gelb sollte man die betreffende Passage noch einmal überprüfen. Ist ein Feld rot, wird eine Überarbeitung empfohlen. Bei jedem Hinweis öffnet sich auf Wunsch eine ausführliche Erklärung. Die Passage wird zudem im Text farbig hervorgehoben.

Dabei zeigt sich: Viele Vorschläge sind hilfreich, zum Beispiel bei Schachtelsätzen, langen zusammengesetzten Wörtern oder Füllwörtern. Andererseits werden Modalwörter als Fehler markiert, obwohl sie im Kontext notwendig sind. Auch nicht jede Abkürzung stört den Lesefluss. Und manchmal hat das Tool Probleme, Passiv- und Perfekt-Konstruktionen richtig zu erkennen.

Was bringen die Tools?
Tools wie der Textinspektor oder das von Wortliga helfen leider nicht dabei, einen Text, der inhaltlich auf Abwege geraten ist, wieder aufs richtige Gleis zu setzen. Das kann nur der Verfasser selbst – oder ein Lektor. Aber die Online-Tools helfen bei der schnellen Selbstkontrolle und geben einen Hinweis darauf, ob der Text einfach genug geschrieben ist. Und sie sensibilisieren vielleicht für Dinge, die einem selbst einfach nicht mehr auffallen, nachdem man sich stundenlang in ein Thema versenkt hat und dabei möglicherweise ein wenig betriebsblind geworden ist. Dinge wie Schachtelsätze, Substantivierungen, Passivkonstruktionen, Fremdwörter etc.

Deshalb empfehlen die Macher von Wortliga:

„Optimale Verständlichkeit und Ästhetik in Texten sollte immer durch einen Redakteur abschließend sichergestellt werden.“

Natürlich. Aber manchmal schafft man das eben nicht allein. Darum freut man sich über solche Tool-Unterstützung.

Fazit:

Verständlich zu schreiben heißt keinesfalls, dass es leichtfiele, so zu schreiben. Von Karl Popper stammt der Satz: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“ John Irving stimmt gewissermaßen zu:

„Es ist Schwerstarbeit, leicht lesbare Bücher zu schreiben.“

Einen Text verständlich zu schreiben heißt für Sie letztlich: Sie beseitigen so gut es geht alle Hürden, die das Erfassen eines Textes erschweren. Das Ziel ist eine saubere Aufbereitung eines Themas, die das Informationsbedürfnis des Lesers ernst nimmt – und berücksichtigt, dass er nicht mehr Anstrengung als nötig hineinstecken mag. Der Leser soll sich in der Regel nicht fragen müssen, was der Verfasser damit wohl sagen wollte – der Text sagt es stattdessen ganz von selbst.

Dieser Text hat einen Flesch-Reading-Ease von: 53,5

Der TA-Index (Textinspektor) beträgt 11,8 (entspricht 59)

Wortliga bewertet die Lesbarkeit mit einem Wert von 60.

Wenn Sie älter als 16 Jahre sind, sollten Sie diesen Text also ohne große Mühe verstehen.

Und noch mal für jeden in ganz kurz:

• Kurze Wörter (und Sätze sowie Absätze) sind verständlicher als lange Wörter (Sätze und Absätze)
• Berücksichtigen Sie das 3-Sekunden-Fenster: Was inhaltlich zusammengehört, steht auch im Satz möglichst nah beieinander.
• Konkrete Beschreibungen und aktive Wörter regen den Leser zum Mitdenken an.

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